"Das Aufgeben jeglicher Budgetierung muss der erste Schritt sein, um die Praxisstrukturen und damit die hochwertige ambulante Patientenversorgung den veränderten Anforderungen anzupassen." Mit Unverständnis reagiert der Vorstand der Kassenärztlichen Vereinigung Rheinland-Pfalz (KV RLP) auf eine Äußerung der AOK-Bundesvorsitzenden Carola Reimann. In einem Interview mit dem Redaktionsnetzwerk Deutschland sagte Reimann, die von Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigte Entbudgetierung bei der Hausärzteschaft passe nicht in die heutige Zeit. Ganz anders sieht das der Vorstand der KV RLP: "Man kann nicht mit 30 Jahre alten planwirtschaftlichen Vorgaben aus der Zeit der 'Ärzteschwemme' die immer weniger werdenden Ärzte zu Mehrarbeit motivieren. Denn das wäre bei den Patientenströmen im Augenblick notwendig", so der KV RLP-Vorstandsvorsitzende Dr. Peter Heinz.
Die AOK-Bundesvorsitzende hatte in dem Interview ihren Unmut darüber geäußert, dass Lauterbach das Budget der Hausärztinnen und Hausärzte aufheben wolle, was 300 bis 400 Millionen Euro kosten werde und "absolut nicht in die Zeit passt." Auf das Ziel, die Deckelung der Vergütung in der hausärztlichen Versorgung abzuschaffen, hatten sich die regierenden Bundestagsparteien bereits im Koalitionsvertrag im Herbst 2021 geeinigt. Trotz mehrfacher Ankündigungen Lauterbachs liegt nach zweieinhalb Jahren noch immer kein Gesetzesentwurf dazu vor. "Dabei ließe sich die Abschaffung der Budgetierung im hausärztlichen Versorgungsbereich schnell und einfach im Rahmen eines Artikelgesetzes regeln, genau wie bei den Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten. Stattdessen will der Bundesgesundheitsminister die hausärztliche Vergütungssystematik in ein umfangreiches Versorgungsstärkungsgesetz packen. Ein Referentenentwurf lässt jedoch bis heute auf sich warten", kritisiert der KV RLP-Vorsitzende Dr. Peter Heinz. Eine reine Ankündigungspolitik helfe den Hausarztpraxen nicht. "Wir bestehen unabhängig davon auch weiterhin auf ein Ende der Budgets für alle ärztlichen Berufsgruppen."
Einschränkung der Leistungen wäre notwendige Folge
Nicht der Wegfall, sondern die antiquierten Budgets im Gesundheitssystem, die jegliche Mehrarbeit bestrafen, sind in der ambulanten Versorgung "aus der Zeit gefallen", meint der Vorstand der KV RLP in Bezug auf die Interviewäußerung der AOK-Vorsitzenden. In einzelnen Fachgruppen werden bis zu 25 Prozent der Untersuchungen und Behandlungen in der vertragsärztlichen Versorgung im jährlichen Bundesdurchschnitt nicht vergütet. "Konsequenterweise müssten wir den ärztlichen Kolleginnen und Kollegen raten, ihre Leistungen einzuschränken", führt Dr. Heinz weiter aus.
Plädoyers von Spitzenfunktionären der gesetzlichen Krankenkassen für die Beibehaltung fragwürdiger planwirtschaftlicher Vorgaben verkennen aus Sicht des Vorstands der KV RLP die Versorgungsrealität. Abgesehen davon konterkarierten solche Aussagen das überdurchschnittliche Engagement der ärztlich und psychotherapeutisch Niedergelassenen. "Den dringend benötigten Nachwuchs für die ambulante Versorgung werden wir durch solche demotivierenden Aussagen sicherlich nicht gewinnen", ist Dr. Heinz überzeugt. Derartige Stellungnahmen würden zusätzlich dazu führen, dass die Motivation der Ärztinnen und Ärzte abnimmt und böten keinen Anreiz, "über dem Notwendigen" zu arbeiten.
Irreführende Zahlen zur Ertragssituation von Arztpraxen
Neben der Äußerung von Carola Reimann tritt der Vorstand der KV RLP häufig getroffenen Behauptungen des GKV-Spitzenverbandes einer angeblich "überdurchschnittlichen Steigerung der Jahresüberschüsse der Vertragsärzte- und -psychotherapeutenschaft" entgegen. So wurde in der jüngsten Ausgabe des vom GKV-Spitzenverband herausgegebenen E-Magazins "90 Prozent" die These aufgestellt, der jährliche Reinertrag betrage durchschnittlich 237.000 Euro. Bei dieser Zahl handelt es sich aber um einen Wert je Praxis und nicht je Ärztin bzw. Arzt.
Das Zentralinstitut für die kassenärztliche Versorgung (Zi) kommt in seinen Berechnungen für 2021 auf einen durchschnittlichen Jahresüberschuss von 189.000 Euro je Praxisinhabenden nach Abzug aller Praxiskosten. "Dieser Betrag ist jedoch kein Nettoeinkommen. Von den 189.000 Euro muss eine Arztpraxis noch etwa die Hälfte für Einkommenssteuer, Altersvorsorge sowie Pflege- und Krankenversicherung bezahlen, sodass netto im Mittel etwa 93.000 Euro übrigbleiben. Dieser Betrag kann zudem stark schwanken", erläutert Dr. Heinz. "Die gesetzlichen Krankenkassen sollten in Bezug auf die Einnahmesituation der Praxen keine Zahlen verbreiten, die auf methodisch irreführenden Grundlagen beruhen. Neiddebatten helfen im gegenwärtigen Bemühen um verbesserte gesundheitspolitische Rahmenbedingungen überhaupt nicht weiter."