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GVSG: Erleichterungen in der hausärztlichen und psychotherapeutischen Versorgung

Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach hat im Januar 2024 erstmals auf die Forderungen der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft angesichts der Protestaktionen in den vergangenen beiden Jahren reagiert. Es folgte ein Maßnahmenpaket, das im Gesundheits-Versorgungsstärkungsgesetz (GVSG) münden soll. 

Nach dem Bruch der Ampelkoalition ist die weitere gesundheitspolitische Gesetzgebung vorerst auf Eis gelegt. Fraglich ist, ob und wie das GVSG nach der neuen Koalitionsbildung 2025 kommen wird. Als KV RLP setzen wir uns dafür ein, dass die wichtigen Inhalte in der nächsten Legislatur in Angriff genommen werden. 

Das waren die für die ambulante Versorgung wichtigsten Punkte beim letzten Stand des Gesetzesentwurfs unter Gesundheitsminister Karl Lauterbach.

GVSG (Bundesrat, 1. Durchgang: 5. Juli 2024)

Ähnlich wie bei den Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzten sollen alle Leistungen der allgemeinen hausärztlichen Versorgung (EBM-Kapitel 3.2) einschließlich der Hausbesuche entbudgetiert werden. Dazu ist vorgesehen, die Leistungen in eine Hausarzt-Morbiditätsorientierte Gesamtvergütung (MGV) zu überführen. Ausgleichszahlungen durch die Krankenkassen sind möglich, falls die Hausarzt-MGV nicht ausreicht. Ziel ist es, alle in der Hausarztpraxis erbrachten Leistungen zu vergüten und Bürokratie durch den Wegfall der Budgetbereinigung abzubauen. Eine Entbudgetierung auch für die fachärztlichen Berufsgruppen hatte Lauterbach wiederholt abgelehnt.

Diese Pauschale wird für die Behandlung von erwachsenen Versicherten mit chronischer Erkrankung und kontinuierlichem Arzneimittelbedarf eingeführt. Die Versorgungspauschale ist je Versichertem jährlich einmal beim ersten Arzt-Patienten-Kontakt abrechenbar – unabhängig von der Anzahl weiterer Kontakte. Mit dieser Maßnahme strebt das Bundesministerium für Gesundheit an, “vermeidbare Praxisbesuche in den Hausarztpraxen” deutlich zu senken und somit mehr Zeit für die medizinische Behandlung zu schaffen. “Die neuen Versorgungspauschalen ersetzen die Quartalslogik”, so das BMG. Ausgenommen von den Regelungen zur Vorhaltepauschale sind die Kinder- und Jugendärztinnen und -ärzte.

Das Bundesministerium für Gesundheit will “für echte Versorgerpraxen, die maßgeblich die hausärztliche Versorgung aufrechthalten”, eine gesetzliche Vorhaltepauschale einführen. Diese soll abrechenbar sein, wenn bestimmte Kriterien, beispielsweise bedarfsgerechte Praxisöffnungszeiten, viele Haus- und Heimbesuche oder eine Mindestanzahl an Versicherten in Behandlung, erfüllt sind. Im Fokus der Förderung stehen Praxen, die den größten Teil der Versorgung leisten und Hausbesuche durchführen.

Die ambulante psychotherapeutische und psychiatrische Versorgung soll mit dem GVSG verbessert und die Erbringung psychotherapeutischer Leistungen vereinfacht werden. Für vulnerable Patientengruppen werden zusätzliche psychotherapeutische und psychiatrische Versorgungsaufträge geschaffen, um ihnen den Zugang zur Versorgung zu erleichtern. Es wird außerdem eine separate Bedarfsplanung für Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten etabliert, die Kinder und Jugendliche psychotherapeutisch behandeln.

Darüber hinaus erhalten Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten sowie Ärztinnen und Ärzte eine Ermächtigung zur ambulanten psychotherapeutischen und psychiatrischen Behandlung von vulnerablen Patientengruppen. Für Medizinische Behandlungszentren für Erwachsene mit geistiger Behinderung oder schwerer Mehrfachbehinderung wird eine korrespondierende Regelung ergänzt.

Zusätzlich sind Vereinfachungen und Flexibilisierungen beim Antrag auf Kurzzeittherapie und beim Konsiliarbericht vorgesehen. Die Vergütung der ambulanten psychotherapeutischen Behandlung in den Weiterbildungsambulanzen soll in Abstimmung mit Entgelten für vergleichbare Leistungen erfolgen. Künftig haben Weiterbildungsambulanzen die Möglichkeit, ihre Vergütung mit den Krankenkassen selbst zu verhandeln.

In den Rahmenvorgaben für die Wirtschaftlichkeitsprüfung ärztlich verordneter Leistungen wird es eine wichtige Ergänzung geben: Künftig gilt eine sogenannte Geringfügigkeitsgrenze in Höhe von 300 Euro, bis zu der keine Wirtschaftlichkeitsprüfungen durchgeführt werden müssen. Damit soll laut BMG ein "Beitrag zur Entbürokratisierung" geleistet werden. Bestehende Prüfvereinbarungen werden somit vereinheitlicht. Langfristig würden damit unnötige Wirtschaftlichkeitsprüfungen wegfallen – eine langjährige Forderung der Ärzteschaft. Wie Bundesgesundheitsminister Karl Lauterbach angekündigt hat, soll der Wegfall 80 Prozent der Arzneiregressprüfungen betreffen.

Das zweistufige Antragsverfahren in der Kurzzeittherapie soll entfallen. Für die insgesamt 24 Therapieeinheiten sollen die Patientinnen und Patienten zukünftig nur noch einen Antrag stellen müssen. Ziel ist es, psychisch Erkrankten einen schnelleren Zugang zur psychotherapeutischen Versorgung zu ermöglichen und das Antragsverfahren zu entbürokratisieren.

Vorgaben zur Einholung eines Konsiliarberichts bei ärztlich überwiesenen Patientinnen und Patienten in der Psychotherapie sollen vereinfacht werden. Der Konsiliarbericht dient dazu, eine organische Erkrankung als mögliche Ursache für vorliegende Beschwerden abzuklären. Mit dem Konsiliarbericht bestätigt eine Ärztin bzw. ein Arzt, dass keine Kontraindikationen gegen die Aufnahme einer Psychotherapie bestehen. Mit dem vereinfachten Verfahren sollen die Wartezeiten vor Beginn einer Psychotherapie verkürzt werden.

KV RLP-Vorstandsmitglied Peter Andreas Staub zum aktuellen GVSG-Entwurf

"Richtige Richtung, aber zu kurz gegriffen."

"Die geplanten Regelungen zur Weiterbildung in der Psychotherapie gehen in die richtige Richtung, greifen aber zu kurz. Ich begrüße, dass die Grundlagen für eine Anstellung von Weiterbildungsassistenten in Weiterbildungsinstituten nun geschaffen wurden – sowie die Möglichkeit, dass Weiterbildungsambulanzen direkt mit den Krankenkassen verhandeln können. Das sind wichtige Voraussetzungen zur Umsetzung der Weiterbildung. Leider ist aber keine Regelung zur Behebung der finanziellen Deckungslücke vorgesehen. Auch die notwendige Regelung zur Ermöglichung der Weiterbildung in den Praxen niedergelassener Psychotherapeut*innen fehlt völlig. Eine finanzielle Absicherung der stationären Weiterbildung ist ebenfalls nicht angedacht.

Gute Ansätze zur besseren Versorgung

Die Beantragung von Kurzzeittherapie wird durch den Wegfall der Zweiteilung vereinfacht und weniger bürokratisch. Wir schlagen vor, den Verzicht auf einen Konsiliarbericht bei ärztlicher Überweisung auszuweiten: Auch bei der Anschlussbehandlung nach einem Klinikaufenthalt sollte der Entlassbericht den Konsiliarbericht ersetzen. Ebenso sollte den Psychotherapeut*innen endlich die regelhafte Überweisungsbefugnis zur Verfügung stehen.

Sehr interessant ist der völlig neue Vorschlag einer Ermächtigung von Psychiater*innen und Psychotherapeut*innen zur Behandlung von Patient*innen mit schweren psychisch/psychiatrischen Störungen. Die Vorschrift, mit einer speziellen Einrichtung, etwa der Suchthilfe oder dem sozialpsychiatrischen Dienst, zu kooperieren, erscheint gut umsetzbar. Wir sehen darin eine gute Möglichkeit, die angesprochenen Patient*innen besser zu versorgen. Auch sieht es der KV RLP-Vorstand positiv, dass eine eigene Bedarfsplanungsgruppe für die psychotherapeutische Behandlung von Kindern und Jugendlichen im Gesetz vorgesehen ist. Hier wird es dann auf die angemessene Umsetzung dieser Vorgabe ankommen.“

Drei Stimmen aus den ärztlichen und psychotherapeutischen Verbänden

Von den ärztlichen und psychotherapeutischen Verbänden kommt immer noch überwiegend Kritik an den geplanten Maßnahmen des Bundesmnisteriums für Gesundheit. Diese werden insgesamt als nicht ausreichend angesehen, um die Rahmenbedingungen für eine Niederlassung im ambulanten Gesundheitssystem langfristig zu verbessern. Wie es nach den Protestaktionen weitergehen muss, dazu äußern sich die Vertretende der nachfolgenden Verbände.

"Arztpraxen müssen strukturell und finanziell gestärkt werden."

"Die am 9. Januar 2024 angekündigten Reformen gehen auf jeden Fall in die richtige Richtung, denn eine nachhaltige finanzielle und strukturelle Stärkung der hausärztlichen Versorgung in Deutschland ist seit Langem überfällig. Neben dem Bundesgesundheitsminister sind alle Ampel-Koalitionäre in der Pflicht, diesen Ankündigungen JETZT konkrete Taten folgen zu lassen. Die Sicherstellung der Hausarztmedizin betrifft nicht nur unsere Hausarztpraxen, sondern zuallererst Millionen Patientinnen und Patienten, die ansonsten in Zukunft ohne eine hochwertige hausärztliche Versorgung dastehen. 

Die rheinland-pfälzischen Hausärztinnen und Hausärzte fordern

  • die im Koalitionsvertrag zugesagte Entbudgetierung der hausärztlichen Leistungen nach dem Modell MGVplus: Inhaltlich bedeutet dies, dass dem hausärztlichen Versorgungsbereich auch zukünftig ein fester Betrag zur Verfügung steht. Falls dieser nicht ausreicht und darüber hinaus weitere Leistungen erbracht werden, werden diese zusätzlich vergütet. Alle anderen Formen der Entbudgetierung sind Mogelpackungen, die am Ende der hausärztlichen Versorgung Geld entziehen würden.
  • einen spürbaren Bürokratieabbau sowie ein Ende des Regresswahnsinns: Hier sind insbesondere die Krankenkassen gefordert, die durch ihren immer weiter zunehmenden Kontrollwahn die Versorgung der Menschen zunehmend unmöglich machen.
  • einen Patientenbonus für die Teilnahme an den Verträgen zur Hausarztzentrierten Versorgung (HZV): Nur durch eine effektive und bedarfsgerechte Steuerung, wie sie in den HZV-Verträgen seit Jahren gelebt wird, kann das Gesundheitswesen als Ganzes entlastet werden. 
  • Jahrespauschalen und Vorhaltepauschalen für hausärztliche Versorgerpraxen zur Betreuung von Versicherten mit chronischen Erkrankungen, um ärztliche und nicht-ärztliche Ressourcen in den Hausarztpraxen medizinisch sinnvoll und effizient einsetzen zu können
  • einen Team-Zuschlag zur Weiterentwicklung von Hausarztpraxen in multiprofessionelle Teams (HÄPPI: Hausärztliche Primärversorgung - Patientenversorgung interprofessionell) mit Hausärztinnen und Hausärzten als Dirigenten, die ein fundiertes Zusammenspiel von Delegation und Digitalisierung in der Hausarztpraxis orchestrieren

Neben bedarfsgerechten und nachhaltigen Strukturreformen ist eine vernünftige finanzielle Ausstattung der Arztpraxen unabdingbar, damit wir Praxisnachfolgerinnen und Praxisnachfolger finden, damit wir unsere Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter für ihre hochwertige Arbeit angemessen bezahlen können und damit wir in der Lage sind, durch regelmäßige Investitionen eine moderne hausärztliche Primärversorgung zu sichern. Dies gilt in ähnlichem Maße sicherlich auch für unsere gebietsärztlich tätigen Kolleginnen und Kollegen.

Die politisch seit Monaten propagierte Ambulantisierung der medizinischen Versorgung in Deutschland wird nur gelingen, wenn alle Arztpraxen strukturell und finanziell gestärkt werden. Bedarfsgerechte Steuerung und Koordination sind das Fundament für die Zukunft der ambulanten Versorgung in Deutschland. 2024 muss ein Jahr des Handelns werden!"

"Die Facharztpraxis von morgen wird nur sehr kompakte Sprechzeiten anbieten können."

"Die vertragsärztlich tätigen Fachärztinnen und Fachärzte stehen vor großen Herausforderungen. Wir freuen uns natürlich, dass im hausärztlichen Bereich nun einige Maßnahmen zur Verbesserung der angespannten Situation angekündigt wurden. Bemerkenswert ist es aber, dass im Fokus der Politik und anderer Akteure im Gesundheitswesen, die Fachärzte neben Hausärzten und Kliniken keine Rolle spielen. Dies passte zu den vom aktuellen Gesundheitsminister bereits vor Jahren proklamierten Plänen, im ambulanten Bereich mittelfristig eine hausärztliche Basisversorgung und parallel dazu durch Kliniken oder anderer Träger gelenkte ambulanten Versorgungszentren zu etablieren. Selbstständige vertragsärztliche Fachärzte kommen in diesen Szenarien nicht vor.

In der Realität sieht es derzeit so aus, dass wir in allen Bereichen im Gesundheitssystem massive Überlastungen spüren. Personalmangel und Überregulierung mit ausufernder Bürokratie sind dabei die bedeutendsten Themen. Die Hausärzte können sicherlich nicht noch mehr leisten, die Kliniken sind, verschärft durch die Corona-Pandemie, personell und finanziell am Straucheln! Jede und jeder im Gesundheitswesen Tätige spürt und realisiert die kontinuierliche Verschlechterung der realen Versorgung.

Die häufig geforderte Entbudgetierung wird hier sicherlich nicht zu einer Problemlösung beitragen. Wenn man eine klare Analyse der Ist-Situation vornimmt, wird schnell klar: Der EBM ist weit entfernt von einer betriebswirtschaftlich adäquaten Honorierung. Die massiven Kostensteigerungen in den letzten Jahren, beispielsweise im Bereich der Weiterentwicklung von Medizintechnik und -produkten, gestiegenen Lohnkosten, enorm veränderten Hygieneaufwendungen, Qualitätssicherungsmaßnahmen, Datenschutz, Digitalisierung und vieles mehr, sind nicht kompensiert worden. In den letzten Jahren haben wir durch stetige Effizienzsteigerung – immer schneller, immer mehr – versucht, dieses Ungleichgewicht in der Vergütungssituation irgendwie auszugleichen. Die jüngsten Entwicklungen durch Inflations- und Energiekrise führen uns jetzt an einen Kipppunkt! 2024 verursacht ein erheblicher Anteil der GKV-Patienten, die eine Facharztpraxis betreten, ein Defizit. Wenn man abends seinen Arztkittel auszieht und den des Geschäftsführers anzieht, braucht man kein BWL-Studium, um die Praxisstrategie neu auszurichten: Im Sinne des eigenen Personals und der betriebswirtschaftlichen Notwendigkeiten werden defizitäre GKV-Behandlungen verknappt und Strategien entwickelt, um über mehr Privatsprechstunden, Selbstzahlerleistungen und einzelne fachspezifisch lohnenswerte Angebote die Balance zu halten.

Das zweite große Problem ist mit dem ersten eng verzahnt: der massive Personalmangel im Gesundheitswesen.  Die wenigen Menschen, die sich in diesen Berufen noch engagieren wollen, können mittlerweile aussuchen, wo sie arbeiten. Kliniken und andere Einrichtungen, werben um dieselben Kräfte – mit dem Unterschied, dass hier seit 2020 die Personalkosten direkt von den Krankenkassen refinanziert werden. Da können Praxen in der Lohngestaltung nicht mithalten. Es bleibt nur, durch Anpassung der Arbeitszeiten, der Arbeitsbedingungen und der persönlichen Bindung einen Ausgleich zu finden.  Auch das bedeutet, dass ein ‘Weiter, Schneller, Höher’ übrigens auch im Sinne der eigenen Gesundheit und Resilienz nicht funktionieren kann. Wenn man sich die kürzlich geäußerten Ideen einer Kassenvorständin nach mehr Sprechzeiten anhört, kann man das nur als naive Ahnungslosigkeit oder brutale Provokation werten! Die kommende Generation an Medizinern hat überhaupt kein Interesse daran, 50 bis 60 Stunden pro Woche zu arbeiten. Die Facharztpraxis von morgen wird nur sehr kompakte Sprechzeiten anbieten können und versuchen müssen, in dieser Zeit adäquate Einnahmen zu erzielen.

Die Demografie lässt die Patientenzahlen steigen und Arztzahlen sinken. Die Hausärzte sind strukturell und fachlich mit der Basisversorgung der Bevölkerung absolut ausgelastet. Die Kliniken sind am Anschlag und haben wenig Interesse, unterbezahlte EBM-Leistungen zu erbringen, wie man am Beispiel der ambulanten Operationen sehen kann. Wer soll sich um die Millionen Patienten mit relevanten gesundheitlichen Problemen, darunter viele chronisch und psychisch Kranke, Krebspatienten und vieles mehr kümmern? Ein staatlich gesteuertes System wird das niemals leisten können! Die Corona-Impfkampagne hat gezeigt wie viel effizienter und kostengünstiger unsere top-strukturierten Praxen funktionieren.

Aus meiner Sicht sind zwei Szenarien realistisch

  • Wünschenswert und sinnvoll wäre es, durch adäquate Steuerung Modelle der künstlichen Intelligenz, Entbürokratisierung und sehr großzügige Delegation die reine Arztbelastung im fachärztlichen Bereich deutlich zu reduzieren. Die Kolleginnen und Kollegen könnten sich so effektiv um die medizinisch relevanten Fälle kümmern, die im Gegensatz zu heute dann natürlich eine adäquate Vergütung erbringen müssten.  So werden die Arbeitsbedingungen verbessert und der Sinngehalt der Arbeit gesteigert – das könnte die vertragsärztliche Tätigkeit auch für nachfolgende Generationen wieder attraktiv machen. Im besten Fall wird dies nicht zu einer massiven Steigerung der Gesamtausgaben führen.
  • Die zweite Alternative ist es, den bisherigen Weg weiterzugehen. Das wird sehr bald zu einer zunehmenden Zweiklassenmedizin führen, ähnlich wie wir das aus vielen anderen europäischen Ländern kennen. Im GKV-Bereich wird die Behandlungsqualität der unzureichenden Vergütung folgen und jeder, der eine zeitnahe, umfassende, umsorgende, technisch und fachlich gute Versorgung haben möchte, wird sich daran gewöhnen müssen, in ein privates Parallelsystem zu wechseln und dort Leistungen aus eigener Tasche zu bezahlen.

Diese Variante bietet enormen sozial- und gesellschaftspolitischen Sprengstoff. Ich denke aber, wir sind an einem Punkt angekommen, an dem wir als Ärztinnen und Ärzte die genannten Defizite nicht mehr länger ausbügeln können. Gesundheits- und berufspolitisch müssen wir dieses Szenario noch stärker kommunizieren, über die Protestaktionen, im Dialog mit der Politik, aber auch täglich mit unseren Patienten, den Wählern! Wir sind in der Lage und auch gewillt, effizient und hochprofessionell eine flächendeckende und qualitativ hochwertige Versorgung zu gewährleisten. Das entspricht unserem ärztlichen Ethos. Besser und effizienter als in unseren Facharztpraxen ist das nicht vorstellbar. Aber unter den aktuellen Rahmenbedingungen fährt das System mit Highspeed an die Wand. Die Zeit drängt.

Optimismus zum Schluss: Der massive Mangel, den wir in den nächsten Jahren erleben werden, wird für uns eine Vielzahl an Möglichkeiten und Chancen bieten. Wir sollten diese im Sinne der eigenen Gesundheit und Bedürfnisse bewusst auswählen."

"Brennende Themen der Psychotherapie wurden nicht angegangen."

"Das zweite Versorgungsstärkungsgesetz hat nichts Geringeres als die ‘Stärkung des Zugangs zu gesundheitlicher Versorgung’ zum Ziel. Somit sollen auch Patient*innen mit psychischen Erkrankungen schneller und besser ambulant psychotherapeutisch versorgt werden. Als Psychotherapeut*innen leiten wir Patient*innen an, die positiven Aspekte einer Situation in den Fokus zu nehmen – dies fällt mir persönlich aufgrund der aktuellen Situation in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung in Verbindung mit dem, was von der Politik so kommt und postuliert wird, zunehmend schwerer.

Schaut man sich das von Bundesgesundheitsminister Lauterbach beschlossene sogenannte ‘Maßnahmenpaket zur Stärkung der ambulanten ärztlichen Versorgung’ genauer an, so darf die Stärkung im Bereich der Psychotherapie getrost als übersichtlich bezeichnet werden. Die Abschaffung des zweistufigen Antragsverfahrens in der Kurzzeittherapie (KZT) ist natürlich in Bezug auf Entbürokratisierung ein Schritt in die richtige Richtung und wird in den jeweiligen Praxen und auch bei den Krankenkassen tatsächlich im geringen Umfang Zeit und Ressourcen sparen. Kritiker können an dieser Stelle natürlich einwenden, dass es sich hier letztlich nur um eine Revision der mit dem ersten Gesetz 2017 eingeführten Splittung in KZT 1 und KZT 2 handelt (vorher gab es für die Kurzzeittherapie 25 Einheiten á 50 Minuten) – mehr nicht. Dieser Teil kann also durchaus als ‘nice’ bezeichnet werden – aber das war es dann leider auch schon.

Die wirklich brennenden Themen in der ambulanten psychotherapeutischen Versorgung werden durch dieses ‘Maßnahmenpaket’ nicht angegangen. So stehen die Praxen weiterhin unter einem immensen Kostendruck; die bürokratischen Anforderungen wurden und werden immer mehr statt weniger – siehe Telematikinfrastruktur oder die datengestützte Qualitätssicherung anstelle der Gutachterverfahren – und die Versorgungssituation wird immer angespannter. Die Belastungen für die Ärzt*innen, Psychotherapeut*innen und nicht zu vergessen für das Praxispersonal haben in den vergangenen Jahren extrem zugenommen! Die Patient*innen wiederum finden eine Versorgungsrealität vor – Stichwort Wartezeiten –, welche getrost als unzumutbar bezeichnet werden darf.

Im Koalitionsvertrag hatte man sich für eine Verbesserung der Bedarfsplanung und für die Schaffung von neuen Psychotherapeutensitzen ausgesprochen. Davon ist bisher leider gar nichts zu sehen. ‘Bedarfsplanung’ und ‘Wartezeiten’ werden für alle, die damit konfrontiert sind, somit weiter Reizwörter bleiben. Auch die fehlende Finanzierung der psychotherapeutischen Weiterbildung muss in diesem Zusammenhang genannt werden. Ohne eine Förderung bei der Weiterbildung gerade im ambulanten Bereich werden wir hier Nachwuchsprobleme in größeren Ausmaßen bekommen, weil wir die Weiterbildungen nicht in dem Umfang durchführen können, wie es nötig wäre. In letzter Konsequenz lässt sich antizipieren, dass dadurch auch die zukünftigen Kolleg*innen für die Versorgungsaufträge fehlen und die schon jetzt unzumutbaren Wartezeiten sich weiter verschärfen werden. Dies lässt wiederum den Druck auf die bestehenden Praxen weiter steigen. 2017 waren bereits über ein Drittel der Kolleg*innen im Rentenalter – eine Entwicklung, die seitdem weiter voranschreitet. Fachkräftemangel im Bereich der Psychotherapie? 2017 noch belächelt, ist es 2024 eine sich abzeichnende Versorgungsrealität.

In der Zusammenschau also ein ernüchterndes Fazit und positiv formuliert eine dauerhafte Challenge für die Berufsverbände!"

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