Budgetierung
Eine Praxis niedergelassener Vertragsärzt*innen finanziert sich vor allem aus zwei Einnahmequellen: aus der Vergütung der gesetzlichen Krankversicherung (GKV) und aus der Gebührenordnung für Ärzte, die die Abrechnung außerhalb der vertragsärztlichen Versorgung regelt. Darunter fallen die Selbstzahler*innen, die privat krankenversichert sind, sowie Patient*innen, die individuelle Gesundheitsleistungen (IGel) in Anspruch nehmen.
Die gesetzlichen Krankenkassen stellen für die ambulante Versorgung ihrer Versicherten einen bestimmten Betrag je Quartal zur Verfügung – die sogenannte Gesamtvergütung. Das Geld geht nicht direkt von den Krankenkassen an die Praxen, sondern an die einzelnen Kassenärztlichen Vereinigungen (KVen), die es wiederum verteilen.
Zunächst reicht die Ärztin oder der Arzt quartalsweise für alle im jeweiligen Quartal behandelten Patient*innen eine Abrechnung bei der KV ein. Die Grundlage für die Abrechnung bildet der Einheitliche Bewertungsmaßstab (EBM). Er ist eine Art Katalog und umfasst einen Großteil der Leistungen, die niedergelassene Ärztinnen und Ärzte sowie Psychotherapeutinnen und Psychotherapeuten mit den gesetzlichen Krankenkassen bundesweit abrechnen können. Daneben gibt es noch in geringem Umfang regionale Vereinbarungen wie zum Beispiel die Vergütung von Schutzimpfungen.
Die Leistungen des EBM haben keine feste Vergütung in Euro, sondern sind in Punkten bewertet. Die Bewertung der Leistungen in Punkten legt ein sogenannter Bewertungsausschuss für das Bundesgebiet fest. Der Bewertung liegen die Praxiskosten je Leistung sowie der Zeitaufwand der Ärztin bzw. des Arztes zugrunde. Viele Leistungen sind in der Häufigkeit begrenzt, zum Beispiel hausärztliche Gespräche. Zudem sind viele Leistungen im EBM über eine Quartalspauschale abgegolten, unabhängig davon, wie oft die Patientin bzw. der Patient in die Praxis kommt.
Seit 2009 steht hinter jeder Leistung nicht nur eine Punktzahl, sondern ein fester Euro-Wert. Dieser Euro-Wert kommt zustande, indem die den Einzelleistungen zugeordneten Punkte mit einem jährlich weiterentwickelten Orientierungswert multipliziert werden.
Ein Großteil der ambulanten Leistungen wird aus der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung (MGV) honoriert. Diese ist für das jeweilige Quartal gedeckelt. Je mehr Leistungen die Ärzt*innen abrechnen, desto geringer ist die Vergütung der einzelnen Leistungen. Dies bildet sich über einen geringeren Punktwert (Verhältnis Geldmenge zu erbrachten Leistungen in Punkten) ab.
Hat die/der einzelne Vertragsärztin/Vertragsarzt oder Vertragspsychotherapeutin/Vertragspsychotherapeut eine bestimmte Leistungsmenge im Quartal überschritten, so wird der bereits quotierte Punktwert für die Leistungen über dem Budget nochmals abgesenkt. Dadurch werden die Leistungen mit einem geringeren Umrechnungsfaktor als dem Orientierungswert vergütet. Das bedeutet, es können nicht alle abgerechneten Leistungen zu den Preisen vergütet werden, die im EBM stehen.
Die Bewertung der Leistungen des EBM erfolgt sowohl in Punkten als auch in Euro. Der Orientierungswert ist der hierbei zugrunde gelegte Umrechnungsfaktor der Punktzahl in den Euro-Betrag. Dieser Umrechnungsfaktor gilt bundesweit und wird jährlich angepasst.
Zusätzliches Geld stellen die gesetzlichen Krankenkassen für Leistungen außerhalb der MGV als extrabudgetäre Gesamtvergütung bereit. Dazu zählen besonders förderungswürdige Leistungen wie Früherkennungsuntersuchungen, Impfungen, Psychotherapie oder ambulante Operationen. Diese Leistungen unterliegen nicht der Mengensteuerung und werden fest mit dem Orientierungswert und damit den Preisen des EBM vergütet. Der extrabudgetäre Teil umfasst aber nur ein Viertel der Gesamtvergütung.
Video: Honorarberechnung in 300 Sekunden – so kommt das Geld zum Arzt oder Psychotherapeuten
Vor 30 Jahren wurde in Lahnstein im Rahmen des Gesundheitsstrukturgesetzes die noch heute geltende Budgetierung beschlossen. Die Reform kam zu einer Zeit, in der die Kassen leer, die Vergütung der Ärzt*innen in großen Teilen ungedeckelt und die Angst vor einer Ärzteschwemme groß war. Was zunächst als zweijährige "Notbremse" gedacht war, um die steigenden Gesundheitsausgaben in den Griff zu bekommen, gilt bis heute fort.
In den drei Jahrzehnten nach der einschneidenden Reform hat sich viel geändert. Die Finanzlage der Krankenkassen hat sich seither stetig konjunkturell stabilisiert und destabilisiert. Zahlreiche weitere Reformen folgten, Gesetze wurden verabschiedet und umgesetzt, andere wieder aufgehoben. Alleine hieraus wird ersichtlich, dass die Einführung der Budgetierung nicht zur erhofften dauerhaften Finanzstabilität beigetragen hat. Was sich nicht geändert hat, ist das starre politische Klammern an die Budgetierung.
Die durch die Budgetierung nur unvollständige Vergütung der ohnehin durch die Gebührenordnung begrenzten EBM-Leistungen bedeutet, dass nur ein Teil der für den reinen Betrieb und die Leistungserbringung anfallenden Kosten der Praxis erstattet wird und die Ärzt*innen keine adäquate Vergütung für ihre persönlich erbrachten Leistungen erhalten. Die Praxen erfahren erst mehrere Monate später, welche Vergütung sie für ihre erbrachten Leistungen erhalten. Eine planbare Praxisführung ist somit kaum möglich, die Aufnahme neuer Patient*innen wird nicht adäquat honoriert.
Im Umkehrschluss bleibt der andere Teil der erbrachten, aber seitens der Krankenkassen nicht vergüteten Leistungen schlichtweg unterfinanziert und muss von den Praxen aus der eigenen Tasche oder durch andere Leistungen wie zum Beispiel Privatpatient*innen quersubventioniert werden.
Besonders drastisch wirkt sich die Budgetierung im Ärztlichen Bereitschaftsdienst aus: Aktuell werden dort die Leistungen aus dem budgetierten Anteil der Gesamtvergütung, der morbiditätsbedingten Gesamtvergütung, gezahlt bzw. dieser vorab entnommen. Wird der Ärztliche Bereitschaftsdienst beispielsweise aufgrund großer Infektwellen übermäßig in Anspruch genommen und dementsprechend viele Leistungen dort abgerechnet, geht das zulasten der vertragsärztlichen Praxen.
Steigt die Inanspruchnahme ärztlicher Leistungen im Bereitschaftsdienst weiter, bleibt weniger Honorar für die haus- und fachärztliche Regelversorgung, die ebenfalls aus dem budgetierten Anteil der Gesamtvergütung finanziert wird.
Unsere Forderung: Entbudgetierung
Die Budgetierung ärztlicher Leistungen muss aufgehoben werden. Die Entbudgetierung in der Kinder- und Jugendmedizin kann nur ein erster Schritt sein. Diese muss auf alle Fachgruppen ausgeweitet werden. Der Wegfall extrabudgetärer Leistungen wie die Streichung der Neupatientenregelung im GKV-Finanzstabilisierungsgesetz oder die Streichung von bisher gezahlten Zuschlägen bei der telefonischen Krankenschreibung weisen hingegen in die falsche Richtung und müssen rückgängig gemacht werden.
Die aktuellen Rahmenbedingungen sind kein Anreiz, sondern vielmehr Hinderungsgrund, in der vertragsärztlichen Versorgung tätig zu werden. Das schon bestehende Nachwuchsproblem wird sich weiter zuspitzen. Im langen und erschöpfenden Diskurs, die bestehende Budgetierung endlich beiseite zu legen, hat uns die Versorgungsrealität längst auf der rechten Spur überholt. Immer weniger Vertragsärzt*innen müssen immer mehr Patient*innen versorgen. Dabei müssen sich viele von ihnen auf immer länger werdende Wartezeiten und Schlangen vor den Praxen einstellen. Grund hierfür ist neben weiteren falschen politischen Weichenstellungen auch die Budgetierung, die viele Nachwuchsmediziner*innen abschreckt, vertragsärztlich tätig zu werden. Die Sorge, die Ärzteschaft würde unnötige Mengenausweitungen zulasten der Versicherten vornehmen, kann aufgrund der aktuellen Situation zumindest kein Argument mehr sein. Dieser Umgang mit Ärzt*innen ist respektlos und in hohem Maß unwürdig.
Bedarfsplanung
Die Bedarfsplanung ist ein Instrument, das die Verteilung von Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen für die Behandlung gesetzlich Versicherter in Deutschland regelt. Wo sich Ärzt*innen einer Fachgruppe bzw. Psychotherapeut*innen niederlassen dürfen, gibt dabei bundesweit die Bedarfsplanungs-Richtlinie vor.
Auf regionaler Ebene setzen die Landesausschüsse diese Vorgaben um. Ein Landesausschuss setzt sich dabei jeweils für jedes Bundesland aus einer bzw. einem unparteiischen Vorsitzenden sowie zwei weiteren unparteiischen Mitgliedern zusammen. Außerdem gehören dem Gremium Vertreterinnen und Vertreter der Ärzteschaft, der Krankenkassen, der Patientenschaft und des Gesundheitsministeriums an. Die Landesausschüsse stellen auf der Grundlage des regionalen Bedarfsplans, der auf der Bedarfsplanungs-Richtlinie beruht, fest, wo es zu viele oder zu wenige Ärzt*innen bzw. Psychotherapeut*innen gibt.
Dort, wo die Anzahl nach der Bedarfsplanungs-Richtlinie hoch genug bzw. zu hoch ist, wird eine Zulassungssperre verhängt (gesperrte Gebiete). Relevant hierfür ist der Versorgungsgrad einer Fachgruppe in einer Planungsregion. Grundsätzlich wird ab einem Versorgungsgrad von 110 Prozent gesperrt. Der Versorgungsgrad einer Region wird ermittelt, indem zwischen dem Ist-Niveau des tatsächlichen Einwohner-Arzt-Verhältnisses und dem Soll-Niveau verglichen wird. Die Verhältniszahlen des Soll-Niveaus werden aufgrund der veränderten Morbidität alle zwei Jahre angepasst.
In einem gesperrten Planungsbereich können sich Ärzt*innen bzw. Psychotherapeut*innen grundsätzlich nur dann neu niederlassen oder anstellen lassen, wenn eine Kollegin oder ein Kollege ihre bzw. seine Zulassung zurückgibt und damit ein Sitz in der Fachgruppe frei wird.
Außerdem gibt es in gesperrten Gebieten das Instrument der Sonderbedarfszulassungen. Dieses kann in Regionen angewendet werden, in denen ein lokaler und qualifikationsbezogener Sonderbedarf dauerhaft nötig erscheint.
Dort, wo die Öffnung eines Gebiets festgestellt worden ist, sind weitere Anstellungen oder Zulassungen möglich. Wer sich in einem offenen Planungsbereich niederlassen möchte, muss nicht auf eine frei werdende Praxis warten, sondern kann sowohl eine neue Praxis gründen als auch eine alte übernehmen oder problemlos in eine Berufsausübungsgemeinschaft einsteigen.
Horst Seehofer, seinerzeit Bundesgesundheitsminister, führte mit dem damaligen Gesundheitsstrukturgesetz 1992 die Bedarfsplanung und Zulassungsbeschränkungen für Vertragsärzt*innen sowie -psychotherapeut*innen ein, um Kosten zu senken und die Anzahl der tätigen Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen zu reglementieren.
Mit der Bedarfsplanung verfolgte Seehofer das Ziel, die Zulassung der Ärzte- und Psychotherapeutenschaft so zu steuern, dass bundesweit eine wohnortnahe Versorgung mit Haus- und Fachärzt*innen sowie Psychotherapeut*innen sichergestellt wird. Außerdem sollte verhindert werden, dass sich weitere Ärzt*innen und Psychotherapeut*innen in bereits gut versorgten Gebieten niederlassen.
Die Bedarfsplanung gibt vor, in welchen Gebieten man sich niederlassen darf und in welchen nicht. Viele Ärzt*innen, die sich Anfang der 1990er-Jahre niedergelassen haben, stehen nun vor der Rente. Hintergrund war das Gesundheitsstrukturgesetz, das 1992 verabschiedet wurde. Hierdurch wurden eingreifende Reformen beschlossen wie die Budgetierung oder weitreichende Eingriffe bei der Zulassung durch die Einführung der Bedarfsplanung.
Bevor die Regelungen in Kraft getreten sind, haben sich daher viele noch "schnell niedergelassen". Sie sind nun alle bereits in Rente oder werden es bald sein. Dadurch, dass diese ambulant Tätigen jetzt alle wegbrechen, werden Nachfolger*innen dringend gebraucht. Interessierte dürfen sich aufgrund der Regelungen der Bedarfsplanung nicht einfach dort niederlassen, wo sie möchten. Nur in offenen Planungsgebieten ist dies möglich.
Sich nicht frei für einen Praxisort entscheiden zu dürfen, schreckt viele ab. Auch wenn bei zugelassenen Ärzt*innen keine Altersbegrenzung zur Berufsausübung mehr besteht, ist der Ärztemangel gerade in ländlichen Gebieten bereits angekommen. Es gibt zurzeit nicht genügend weitergebildete Ärzt*innen, die diese Lücken schließen könnten. Nach Ansicht der KV RLP ist die Bedarfsplanung in der heutigen Zeit des Ärztemangels überholt.
Auch im psychotherapeutischen Bereich sieht die KV RLP Handlungsbedarf. Der aktuelle Zuschnitt der Planungsbereiche entspricht nicht mehr der Versorgungsrealität. So könnten beispielsweise neue Sitze geschaffen werden, indem man kreisfreie Städte als selbstständige Regionen ausweist. Dies würde für die Patienten und Patientinnen geringere Wartezeiten und kürzere Wege bedeuten. Der Vorstand der KV RLP plädiert daher für eine Reformierung der Bedarfsplanung.
Unsere Forderung: Abschaffung der Bedarfsplanung in ihrer jetzigen Form
Die aktuelle Bedarfsplanung als Zulassungsverhinderungsinstrument muss grundlegend reformiert werden. Der Vorstand der KV RLP sieht in der Abschaffung der Bedarfsplanung für alle grundversorgenden vertragsärztlichen Fachgebiete sowie Vertragspsychotherapeut*innen die einzige Möglichkeit, der bevorstehenden medizinischen Versorgungskatastrophe entgegenzuwirken. Die Befürchtung, dass sich ohne Bedarfsplanung in ihrer jetzigen Form nur noch Ärzt*innen in vermeintlich lukrativen Gebieten niederlassen könnten, teilt der Vorstand der KV RLP nicht. Denn schließlich liegt allen Ärzt*innen daran, ihr berufliches Auskommen zu sichern. In einem gut versorgten Gebiet ist dies schwieriger.
Für die Psychotherapeut*innen sieht die KV RLP die Bedarfsplanung in der jetzigen Form äußerst kritisch. Schließlich ist der Bedarf an psychotherapeutischen Leistungen in der Bevölkerung hoch und steigt in Krisenzeiten weiter an. Weitere Psychotherapeut*innen, die gerne gesetzlich Versicherte versorgen würden, werden mit der aktuellen Bedarfsplanung an einer Niederlassung gehindert.
Die Reform der Bedarfsplanung im Jahr 2019 ist völlig unzureichend und deckt aus Sicht der KV RLP bei Weitem nicht den wissenschaftlich und fachlich festgestellten Bedarf an zusätzlichen psychotherapeutischen Behandlungsplätzen. Die langen Wartezeiten von häufig mehr als einem Jahr sind unzumutbar. Notwendige Veränderungen können letztlich jedoch nur im Schulterschluss mit anderen Akteur*innen im Gesundheitswesen angestoßen werden. Dafür setzt sich die KV RLP mit Nachdruck ein.
Video: Rigide Bedarfsplanung | Prof. Hecken vom G-BA bei Doc Bartels
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